Donnerstag, 5. Juni 2014

Wie und wann wird man Veganer?



Angeregt durch eine Diskussion in der Facebook Gruppe: Tofu Nutte, in der ich seit kurzem Mitglied bin.
Habe ich auf folgenden Beitrag geantwortet. 

Armin Rohm‎ (mit Erlaubnis des Verfassers darf ich seinen Namen nennen)  Tofu-Nutte· 

Ein omnivorer Tierfreund ist ein vergleichbares Phänomen wie der sympathische Choleriker, der „normalerweise ganz anders“ und „in Wirklichkeit voll nett“ ist. Nur manchmal eben überhaupt nicht. Da tickt er komplett aus und behandelt seine Mitmenschen wie ein Stück Scheiße.
Sehr ähnlich der tierliebe Fleischesser: Erst liebkost er seinen Hund („Mein bester Freund und Kamerad.“), dann unterschreibt er eine Petition gegen das Abschlachten der Delfine in Taiji („Diese Japaner, das sind doch gefühllose Unmenschen! Da kann ich doch nicht tatenlos zusehen.“), spendet 50 € an den örtlichen Tierschutzverein („Für das Wohl der Tiere würde ich jederzeit ohne zu zögern mein letztes Hemd geben.“), und dann ….. isst er ganz genüsslich ein Steak – die fleischgewordene Todesangst eines feige hingerichteten, unschuldigen Tierkindes. Moralische Schizophrenie in der Praxis.


Da dies eine rein vegane Gruppe ist, gab es bisher auch nur eine Kritik. Die mich jedoch sehr angesprochen hat (genau wie der Artikel von Armin, mich sehr ansprach).

Die Kritik wurde von einem Mann vorgetragen, der schrieb: "....Wer von euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein".

Wie recht er hat.
Ich schrieb daraufhin.

Ich denke das wir alle so angefangen haben. Das hat nichts mit Steine werfen zu tun, sondern es beherbergt einen Wiederspruch der in vielen Dingen die wir Menschen tun, sichtbar ist (wenn man sich traut hinzusehen). Und ja es ist in gewisser Hinsicht Schizophren. Wir wachsen auf mit der Teilung in Haustiere und Essen. Das Haustier behandeln wir wie unseren besten Freund (manchmal noch schlimmer) und über das Essen machen wir uns nur so viel Gedanken, das wir hoffen wir bekommen keine Schweine, oder Hühnerpest oder Rinderwahn. Irgendwann bekommen wir vielleicht einen Bericht mit, über die Küken die geschreddert werden und regen uns über die Eier auf. Manche von uns kaufen ab da nur noch Bioeier. Dann geht es weiter, vielleicht ist der nächste Bericht ein Artikel über Massentierhaltung...
Meine Erfahrung, das Aufwachen fängt ganz langsam an, wenn man in dieser Tretmühle drin ist, dann ist es das natürlichste der Welt Fleisch, Fisch, Eier und Michprodukte zu sich zu nehmen.So wachsen wir normalerweise auf. Wir werden zum Nichtdenken und Fühlen herangezüchtet. Erst wenn unser Mitgefühl angekickt wird, verändern wir uns.Außer wir werden schon als Kind angekickt, sei es durch die Eltern oder durch Aufklärungskampagnen. 
Meine Tochter ist z.B. Vegetarisch aufgewachsen. Fleisch, Fisch und sogar Eier lehnt sie ab. Aber sie liebt Milchschokolade, da fällt es ihr schwer zu verzichten. Sie weiß über Massentierhaltung in der Milchindustrie bescheid, aber sie hat noch keine Erfahrung zu dem Begriff gemacht. Demzufolge ist es eben nur ein Wort, aber kein Gefühl.
Wir lernen nur durch Gefühle, durch Mitfühlen. Erst dann verändert sich unser Blickwinkel.

Und angeregt durch diese Diskussion ein paar Fragen die ich mir selbst beantwortet habe:

Wie wird man Veganer?

Ich denke es hat viel mit der eigenen Entwicklung zu tun, gleich einer inneren Betrachtung seines Selbst.
Veganer wird man nicht, weil irgendwer sagt: "Fleischessen ist schlecht!"
Es bedarf weit aus mehr.
Einige Menschen lehnen tierische Nahrung aus Gesundheitlichen Gründen ab, es geht ihnen körperlich sehr schlecht, so dass eine Ernährungsumstellung die einzige Lösung ist..
Andere wiederum engagierten sich im globalen Tierschutz und erleben das Leid der Tiere (Nutz, wie Haustiere, eben aller Tiere) intensiv und real.
Dann gibt es noch die Jenigen die mit Tierschutz nichts am Hut haben, aber sich jeglichen Hitverdächtigen Gesellschaftlichen Veränderungen anschließen, denn Vegan ist momentan in.

Die ersten bleiben vielleicht nur solange der veganen Ernährung treu, bis sich ihr gesundheitlicher Zustand verbessert.
Die letzten nur solange es eben weiterhin In ist, denn sie möchten ja dazu gehören zu einer In-Gesellschaftsschicht, mitreden und auffallen, spielt hier eine große Rolle.

Die mittlerer Gruppe erlangt ihre Ernährungsumstellung aus Mitgefühl.
Hier spielt das Erkennen und Wahrnehmen eine große Rolle. Zu begreifen, das ein Tier leidet, ganz egal ob es nun in einem Bio zertifizierten Betrieb lebt, oder eben in einer Massenhaltung auf engstem Raum. Der Unterschied ist vielleicht für uns Menschen relevant, aber nicht für das Tier, das unter den Bedingungen leidet.

Der Blick der sich verändert, geht vom eigentlichen menschlichen weg, hin zum Tier selbst. Die Veränderung findet dahingehend statt, das wir uns mit dem Tier identifizieren, wir machen vergleiche - wie würden wir uns in einer solchen Situation fühlen?
Wie geht es uns, wenn wir eingesperrt sind, wenn wir misshandelt werden, wenn wir vergewaltigt (eine Befruchtung mit der menschlichen Hand, ist nichts anderes. Das Tier selbst hat keine Chance sich dagegen zur Wehr zu setzten. Es muss diese Prozedur über sich ergehen lassen) und dann letztendlich getötet werden.

Dieser Blick hat viel mit Erniedrigung zu tun. Wären wir in einer solchen Situation, würden wir Scham, Angst, Wut, und letztendlich ein Aufgeben empfinden. Erniedrigung dem eigenen Leben gegenüber. Wären wir in einer solchen Situation würden wir Hass empfinden, dem Peiniger gegenüber.

Wenn der Mensch anfängt sich mit dem Leid des Tieres zu identifizieren gibt es keinen Schritt mehr zurück. In diesem Moment passiert das was ich persönlich Verschmelzung nenne.
Mensch und Tier werden eins.
Und dieser Moment ist auch entscheidend, für eine kompromisslose Einstellung zum Veganismus.

Es fängt vielleicht damit an, das man Fleisch, Fisch und Eier weglässt. Doch je intensiver man sich mit dem Leid der Tierwelt auseinander setzt, desot klarer wird auch der Weg Milchprodukte wegzulassen.

Und nun kommt der ABER Punkt.

Warum gibt es so wenig Veganer?

Die Antwort ist einfach, wir wollen kein Leid!
Wir wollen uns nicht mit dem Leid anderer Wesen identifizieren, wir wollen nicht mitfühlen.
Leid bedeutet immer Glücklosigkeit. Im Leid ist man unglücklich, traurig, frustriert, depressiv.
Logische Folge daraus, wir umgehen das Leid, indem wir es ignorieren.

Das ist etwa vergleichbar mit der Zigarettenpakumg auf der steht, das man Kebs bekommen kann.
Wir lesen es, aber wir ignorieren es. Weil die Lust (Sucht) eben stärker ist.
Würden wir uns damit identifizieren, würden wir das Rauch aufgeben, eben aus Angst vor Krebs.

Der Verzehr von Fleisch ist also nichts anderes als der Rauch einer Zigarette, oder der übermässige Konsum von Bier, Wein usw.

Auch hier lässt sich niemand eines Besseren belehren, obwohl es mittlerweile 1,3 Millionen Alkoholkranke in Deutschland gibt.

Menschen wollen nicht mit unangenehmen Dingen konfrontiert werden, unangenehm ist die Vorstellung die Leber wird vom Alkohol zerfressen, unangenehm ist die Vorstellung die Lunge zersetzt sich selbst, durch das Jahrelange Rauchen von Zigaretten.
Und unangenehm ist auch zu sehen, wenn ein Tier leidet.
Aus dem Grund schauen Menschen weg, drehen sich um.
Hören weg, legen Zeitungen mit Informationsmaterial beiseite. Sagen offen: Das interessiert mich nicht.

Und wenn sie konfrontiert werden mit Menschen die bereits "infiziert" sind, durch das globale Mitgefühl eines Tieres und ihr Mitgefühl offen vor sich tragen, in Form ihrer Ernährung oder politischen Einstellung, werden diese Ausgegrenzt oder gar angefeindet.
Denn ein Fleischessender, Zigarette Rauchender, Alkoholtrinkender Mensch usw. fühlt sich dadurch bloßgelegt, schuldig, minderwertig, gestört und letztendlich konfrontiert mit etwas das er mit aller Macht von sich weghalten will.

Vielleicht empfinden sie für einen kurzen Moment ein Gefühl des Unbehagens, wenn sie in ihre Bockwurst beißen. Aber das gibt sich wieder, wenn sie in Gesellschaft von anderen Fleischessern sind. Das ist die Normalität und aus dem Grund gibt es noch so wenig Veganer.

Der Mensch verändert sich ganz langsam, einer Evolutionsstufe gleich. Unsere Gesellschaft verändert sich dadurch langsam. Mitgefühl ist etwas sehr heikles, die Erwartungshaltung nach diesem Gefühl ist immer noch sehr groß.
So erwarten Menschen etwas zu bekommen, wenn sie etwas geben, sei es materieller Natur oder eben Gefühlsmässiger.
Ein Tier kann jedoch nicht die gleichen Ansprüche erfüllen wie ein Mensch.

Die meisten Menschen leben ihr Mitgefühl in Gesellschaft von Menschen aus.
Gerade auf Facebook erlebt man oft ein Hochjubeln und Hochloben, wenn Mensch etwas tolles vollbracht hat. Das tut gut, das Mitgefühl wird dann zu einem Handel: Ich tue etwas und ich bekomme etwas zurück

Im Tierschutz verhält es sich anders. Ich tue etwas und wenn ich Glück habe, überlebt das Tier, aber oft genug stirbt es auch früher oder später.
Das Zurückgeben von Gefühlen, einem Danken, ist nicht Sinn und Zweck unseres Handelns.

Als Tierschützer wissen wir nie wieweit wir Erfolge im Sinne von: "Überleben des Tieres" sichern können.
Es bleibt beim Geben und hinterlässt ein Gefühl von Trauer, wenn das Tier stirbt.

Wir lernen dadurch etwas ganz besonderes, der Handel von Geben und nehmen findet in uns selbst statt und ist nicht mehr abhängig von anderen.
Wenn wir erleben, das ein Tier überlebt, oder das es einem Tier gut geht, schüttet das Glückshormone aus.
Die gleichen Glückshormone die auch durch andere Menschen ausgeschüttet werden, die uns loben.

Wir lernen auch, das ein DANKE von anderen nicht wichtig ist. Weil wir das was wir tun, für jemand tun, der nicht unsere menschliche Sprache spricht. Sein Danke ist für uns oft nicht sichtbar und doch ist es da, wenn es dem Tier das wir betreuen gut geht, wenn es überlebt und alt werden darf. Wenn es in Sicherheit ist.

Das ist ein Danke genug.

Ein Veganer zu sein, bedeutet sich dem Leben zu stellen. Dem eigenen mit all dem Suchtpotential das in uns schlummert, wie dem der Mitlebewesen die auf dieser Welt leiden.
Veganer zu sein bedeutet auch sich zu konfrontieren mit dem was man will. Käse ist für viele Veganer anfangs ein Verzicht. Aus eigener Erfahrung weiß ich, das verändert sich mit der Zeit.

Ich z.B. werde nie ein perfekter Veganer sein, ich nehme Medikamente und ich achte nicht so sehr auf Palmprodukte und co. Kurzum ich lebe zwar bewusst, aber noch nicht ökologisch und wertfrei.

Das einzige  (das wird sich auch noch verändern mit der Zeit) das mich zum Veganismus treibt, ist das Wissen um das Leid der Tiere - ist die Pflicht Tieren ein gutes Leben zu bieten. Vegan zu leben bedeutet das Tierleid Global zu betrachten. Ich versuche dabei nicht allzu dogmatisch vorzugehen, doch ist es mir sehr wichtig eine Vorbildfunktion zu haben, für meine Tochter, die seit Geburt an Vegetarierin ist und mit mir und meiner Frau seit einem Jahr Vegan (so gut wie) lebt.

Ich erlebe ihre Welt mit einer Natürlichkeit (sowohl in der Ernährung als auch im Verständnis für Tiere) die es in meiner Kindheit nicht gab. Das bewundere ich sehr. So zeigt sie mir täglich wie leicht es ist, Vegan zu leben.
Gleichzeitig ist die Leichtigkeit das Resultat unserer Art mit Tieren umzugehen. Auf unserem Hof leben auch ehemalige Nutztiere ein Leben in ( räumlich eingeschränkter) Freiheit.
Das ist es was uns vorantreibt, was den Veganismus fördert und fordert. Ein Huhn zu halten mit einem guten Gewissen, bedeutet eben auch Abschied zu nehmen von Hühnerfleisch und Eier.
Ein gutes Gewissen habe ich nur, wenn ich merke, dass es meinen Mitlebewesen gut geht, sie leben dürfen und alt werden dürfen.
Denn eines darf man als Mensch nie vergessen.

Wir sind für ihr Leben verantwortlich. Ohne uns Menschen würden sie anders leben, freier und ungezwungener, oder eben gar nicht. Da viele Tiere nur deshalb gezüchtet wurden, um uns zu dienen und für uns zu sterben.
Diese Sicht ermöglicht es mir, auf Dinge wie Eis und Milchschokolade zu verzichten. Mich mit Ernährung so auseinander zu setzten, das ich nach und nach begreife, was meinem Körper gut tut und was nicht.

Diese Sicht ermöglicht mir auch, mich mehr mit mir auseinander zu setzten, mich intensiver wahrzunehmen und mich letztendlich so anzunehmen wie ich bin.

Vegan zu leben ist nicht beschränkt auf die Ernährung. Es ist eine Lebenseinstellung, die beim Essen anfängt und beim globalen Blick auf diese Welt und ihre Lebewesen aufhört.
Vielleicht höft es auch gar nicht auf sondern geht weiter, karmisch gesehen. Aber das kann ich nicht beurteilen.

Vegan zu leben bedeutet, das wir uns verändern. Von einem süchtigen Menschen zu einem freien Menschen.
So sehe ich es...
Und so versuche ich zu leben.

Das Leid ist für mich ständiger Begleiter. Das erlebe ich täglich auf meinem Weg durch unseren Hof. Gestern noch war alles ok und morgen kann schon wieder ein Tier so krank sein, das sein Leben gefährdet ist.

Glück in dem was man tut, nicht indem was man erhält, nachdem man etwas getan hat - das ist mein persönlicher Weg- da möchte ich hin, trotz Leid.

In dem Sinne

Alles Liebe eure Jo vom Tierhof Amoa



Bilduelle: Das Bild stamm von mir. Es zeigt eine Kuh die einen Moment aus ihrer Zwangshaltung ausbrechen konnte, sie sah die Freiheit durch ein winziges Fenster. Ihr Blick sagt mehr als 1000 Worte  ausdrücken können...